Der Sinn des Fastens

Die adventliche Fastenzeit umfasste ursprünglich 40 Tage und endete am ersten Weihnachtstag (25. Dezember). Beim Fasten, von dem Jesus sprach, steht nicht der Verzicht im Zentrum. Fasten heißt vielmehr: etwas loslassen, um Zeit mit Gott zu haben.

Jesus kommt in der Bergpredigt auf das Fasten zu sprechen. In Matthäus 6,16-18 heißt es:

16 Wenn ihr aber fastet, so seht nicht düster aus wie die Heuchler! Denn sie verstellen ihre Gesichter, damit sie den Menschen als Fastende erscheinen. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin.
17 Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, 18 damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.

Beim Fasten geht es nicht darum, Eindruck auf andere zu machen. Fasten ist eine Sache zwischen uns und Gott. 

Bei den Pharisäern wurde das Fasten zu einem äußerlichen Ritus, der möglichst publik gemacht werden sollte. Aus dem Bericht des Lukas wissen wir, dass einige Pharisäer zweimal in der Woche fasteten (Lukas 18,12). Jesus fordert dazu auf, dass das Fasten im Verborgenen und nur vor dem himmlischen Vater geschehen soll (Matthäus 6,18).

Der ursprüngliche Sinn des Fastens bestand darin, sich vor Gott zu demütigen und damit die Ernsthaftigkeit des Gebets zu unterstreichen.

So lesen wir in Esra 8,21: „Ich rief dort, am Fluss Ahawa, ein Fasten aus, damit wir uns vor unserem Gott demütigten, um von ihm einen geebneten Weg zu erbitten für uns und für unsere Kinder und für alle unsere Habe.“

Und in Jesaja 58,3: „Warum fasten wir, und du siehst es nicht, demütigen wir uns, und du merkst es nicht?« – Siehe, am Tag eures Fastens geht ihr euren Geschäften nach und drängt alle eure Arbeiter.“ 

In Lukas 21,34 sagt Jesus: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht etwa beschwert werden durch Völlerei und Trunkenheit und Lebenssorgen und jener Tag (an dem der Himmel und die Erde vergehen) plötzlich über euch hereinbricht.“

Es ist bemerkenswert, dass Essen und Trinken unser geistliches Empfinden beeinträchtigen können. Für Jesus ist es selbstverständlich, dass seine Jünger fasten werden.

In Markus 2,18 wird Jesus gefragt: „Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht?“ Jesus antwortet, dass sie nicht fasten, weil er mitten unter ihnen ist, denn das ist ein Grund zur Freude (Markus 2,19). Er sagt aber auch, dass sie später fasten werden, wenn er nicht mehr da ist (Markus 2,20). Jesus deutet auch an, dass das Fasten seiner Jünger etwas Neues sein wird. Dieses Fasten kann nicht in das jüdische Schema eingepasst werden. Wie der neue Wein einen neuen Schlauch braucht, so brauchen seine Jünger ein neues Fasten (Markus 2,22).

Jesus sagt es in Markus 2,19-22 so: „Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. 20 Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann, an jenem Tag, werden sie fasten. 21 Niemand näht einen Flicken von neuem Tuch auf ein altes Gewand; sonst reißt das Eingesetzte von ihm ab, das Neue vom Alten, und ein schlimmerer Riss entsteht. 22 Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der Wein die Schläuche zerreißen, und der Wein und die Schläuche verderben; sondern neuen Wein füllt man in neue Schläuche.“ 

Für die Jünger Jesu ist das Fasten etwas zwischen ihnen und ihrem himmlischen Vater. So sagt Jesus in Vers 18: „Damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist!“

Fasten ist also auf Gott ausgerichtet. Fasten und Gebet gehören zusammen. Ohne Gebet fehlt dem Fasten die Tiefendimension. Deshalb soll uns das Fasten das Beten nicht erschweren, sondern erleichtern. Sollte bei uns der gegenteilige Effekt eintreten, ist es ratsam, die Form des Fastens zu überdenken.

Die Juden kennen viele Fastentage und das Fasten hat eine lange Tradition. Moses verbrachte 40 Tage ohne Nahrung auf dem Berg Gottes, als er die 10 Gebote empfing. Jesus zog sich 40 Tage zum Fasten in die Wüste zurück, bevor er sein öffentliches Wirken begann.

Einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, fastet das ganze jüdische Volk (3.Mose 23,27). Es gibt verschiedene Arten des Fastens. Am weitesten verbreitet ist der Verzicht auf bestimmte Nahrung für einen oder mehrere Tage.

Beim Daniel-Fasten werden nur natürliche Produkte gegessen. In Daniel 10,2-3 lesen wir: „Zu der Zeit trauerte ich, Daniel, drei Wochen lang. Ich aß keine leckere Speise; Fleisch und Wein kamen nicht in meinen Mund; und ich salbte mich auch nicht, bis die drei Wochen um waren.“

Eine andere Form ist der Verzicht auf feste Nahrung. Das kann bis zum Abend (2.Samuel 1,12) dauern oder mehrere Tage (1.Samuel 31,13). Da an anderen Stellen in der Bibel ausdrücklich erwähnt wird, dass Menschen Tag und Nacht gefastet haben (Ester 4,16 / Nehemia 1,6 / Lukas 2,37), muss es auch ein Fasten nur am Tag gegeben haben, bei dem man in der Nacht wieder Nahrung aufnahm, so wie es die Muslime heute praktizieren.

Die dritte Form ist das totale Fasten. Man verzichtet auf Essen und Trinken. So fastete die jüdischstämmige Königin Ester mit ihrem Volk drei Tage lang, bevor sie vor den persischen Imperator trat, um die beschlossene „jüdische Endlösung“ rückgängig zu machen. Diese Art des Fastens ist natürlicherweise auf drei Tage beschränkt, denn spätestens dann müssen wir wieder Flüssigkeit zu uns nehmen. 

Beim Fasten geht es aber nicht darum, dass meine Wünsche eher erhört werden. So nach dem Motto: „Lieber Gott, tu dies und das. Ich werde nicht aufhören zu fasten, bis du eingreifst und meinen Willen tust.“ Wer so betet und fastet, muss sich fragen, ob das nicht eher einem Hungerstreik gleicht. Fasten ist kein Hungerstreik. Gott lässt sich von uns nicht manipulieren.

Fasten ist vielmehr eine Liebeserklärung an Gott. Man sagt damit: Du bist mir wichtiger als das Essen und Trinken. Du bist für mich wertvoller als alles Irdische. Das ist so, wie wenn sich jemand im Geschäft extra frei nimmt, um einen Tag oder Abend mit einer Person zu verbringen. Wir alle schätzen solche besonderen Begegnungen, die unseren Alltag bereichern und verändern. Beim Fasten für Gott stellen wir alles zurück, was uns sonst beschäftigt und ablenkt, um Zeit nur für ihn zu haben.

Im Markusevangelium gibt es eine Begebenheit, die mich nachdenklich macht. Die Jünger wollten ein Kind von einem bösen Geist befreien, aber es gelang ihnen nicht. Jesus sagte zu ihnen: „Wann wollt ihr endlich anfangen zu glauben?“ (Markus 9,19). Als sie von Jesus wissen wollten, warum sie den Geist nicht austreiben konnten, antwortete er: „Das könnt ihr nur durch Beten und Fasten“ (Markus 9,29). Wobei das „und Fasten“ erst in älteren Handschriften hinzugefügt wurde. Aber im Gebet, also im „sich Zeit nehmen für Gott“, liegt eine verborgene Kraft.

An dieser Geschichte erkennen wir, dass beim Beten und Fasten zweierlei geschieht:

  1. Durch Beten und Fasten überwinden wir unseren Unglauben und lernen, allein auf Gott zu vertrauen. Durch das Fasten wird unser Glaube gestärkt und vertieft.
  2. Wer fastet, drückt damit seine Ohnmacht und Abhängigkeit von Gott aus. Der Beter erwartet alle Hilfe von Gott. Deshalb liegt im Fasten eine indirekte Kraft, denn im Bekenntnis unserer Schwachheit kann sich Gottes Macht offenbaren. Fasten ist ein freiwilliger Verzicht und stärkt den Charakter. Es hilft, sich auf etwas zu konzentrieren und sich selbst zu beherrschen.

So liegt der eigentliche Sinn des Fastens darin, dass wir durch das Fasten unseren Mangel an Glauben überwinden und einen neuen Blick für Gottes Möglichkeiten bekommen.

Beim Fasten, von dem Jesus spricht, steht nicht der Verzicht im Zentrum. Fasten heißt vielmehr: etwas loslassen, um Zeit mit Gott zu haben.

Als Jesus in Samarien am Jakobsbrunnen war, lesen wir in Johannes 4,31-32: „In der Zwischenzeit baten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iss! 32 Er aber sprach zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt.“

Zuvor sagte Jesus zu der Frau in Vers 23: „Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter.“

Fasten bedeutet, die Prioritäten neu zu setzen. Nicht mehr das Essen ist wichtig, sondern die Begegnung mit dem Vater im Himmel. So heißt es in Matthäus 14,23„Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er für sich allein auf den Berg, um zu beten. Als es aber Abend geworden war, war er dort allein.“ Also er zog sich zurück, ohne zu essen.

So kann zum Beispiel an einem Arbeitstag die Mittagspause für einen Gebetsspaziergang oder zum Bibellesen genutzt werden.

Oder jemand kann sich zu einer anderen Zeit ein Fenster für das Gespräch mit Gott öffnen. Vielleicht muss man auf etwas verzichten. Das kann das Essen sein oder etwas anderes, das viel Zeit in Anspruch nimmt.

Manchmal gibt es auch Menschen, die das Alltägliche mehr und mehr in den Hintergrund stellen. So wie es Hanna im Tempel machte. Von ihr heißt es in Lukas 2,37„Sie war eine Witwe von vierundachtzig Jahren, die wich nicht vom Tempel und diente Gott Nacht und Tag mit Fasten und Flehen.“

Beim neuen Fasten Jesu dreht sich nicht alles um das Nicht-Essen, sondern im Gebet soll neue Energie freigesetzt werden. Wer verzichtet, schafft Raum, um etwas anderes in den Mittelpunkt zu stellen. Dadurch kommen wir zur inneren Ruhe.

Da sind wir wieder bei der Bergpredigt in Matthäus 6,18: «Damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.“

Wenn wir fasten, sollen es nicht die Menschen um uns herum merken, sondern der himmlische Vater.

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