Ich bin gebeten worden, etwas über Jeremia 17,5.7-8 zu sagen. Es ist ein Aufruf zur Weisheit. Unsere Entscheidungen haben Auswirkungen. Wir sind herausgefordert, vom Ende her zu denken und trotz aller Widerstände bei der Quelle zu bleiben. Der Text gehört zu den Weisheitssprüchen.
5 So spricht der HERR: Verflucht ist der Mann, der auf Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht und dessen Herz vom HERRN weicht! 6 Er wird sein wie ein kahler Strauch in der Steppe und nicht sehen, dass Gutes kommt. Und an dürren Stätten in der Wüste wird er wohnen, in einem salzigen Land, wo sonst niemand wohnt.
7 Gesegnet ist der Mann, der auf den HERRN vertraut und dessen Vertrauen der HERR ist! 8 Er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bach seine Wurzeln ausstreckt und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt. Sein Laub ist grün, im Jahr der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen.
Wasser oder Wüste entscheiden im Nahen Osten über Leben und Tod. Jeremia fragt: Wem vertrauen wir? Den Menschen oder Gott? Wir werden ernten, was wir gesät haben.
Jeremia ist ein Prophet, der etwa von 660 bis 580 vor Christus gelebt hat. Er stammt aus einer Priesterfamilie. Er erlebte die letzten sieben Könige Judas. Er wird oft der „weinende Prophet“ genannt, weil er dem jüdischen Volk eine ernste Botschaft verkündet, unter der er selbst leidet. Er wird von seinen Mitmenschen verflucht und wegen seiner Botschaft gehasst. Jeremia erfährt große Einsamkeit. In einem Gebet (Jeremia 15,15-18) klagt er Gott an, weil er die Schmerzen, die ihm seine Verfolger zufügen, nicht mehr ertragen kann. Menschlich gesehen gibt es für Jeremia keine Hoffnung. Angesichts der ausweglosen Situation findet er bei Gott das, was ihn trägt und nährt, wie ein Bach der einen Baum am Leben erhält.
Er ruft das jüdische Volk zur Umkehr zu Gott auf und prophezeit den Untergang Jerusalems und des Tempels, der im Jahr 586 v. Chr. unter dem babylonischen König Nebukadnezar II. eintritt.
Das Nordreich Israel war bereits von den Assyrern zerstört und das Volk deportiert worden. Jeremia sagt: Wenn wir nicht zu Gott umkehren, wird es uns genauso ergehen.
Denn im Jahr 734 vor Christus hatten Syrien und Nordisrael es satt, Tribut an das assyrische Reich zu zahlen. Sie beschlossen eine Koalition zu bilden, um den Assyrern Widerstand zu leisten, da diese in anderen Teilen ihres Reiches Probleme hatten. Neben der Bildung ihrer eigenen Koalition versuchten Israel und Syrien, Juda in ihre Reihen zu zwingen. Doch Ahas, der König von Juda, weigerte sich und bat Assyrien um Hilfe. Daraufhin musste Juda hohe Tributzahlungen an Assyrien leisten.
Von den sechzehn prophetischen Büchern des Alten Testaments berichten sechs über die Zeit des Untergangs des Nordreiches.
Später lehnte sich Juda auch gegen Assyrien auf und zog den Zorn des Großreiches auf sich. Juda wurde mehrmals angegriffen. Die Assyrer zerstörten viele Städte Judas und kamen bis nach Jerusalem. Alles schien verloren, bis Hiskia, der König von Juda, sich an den Gott Israels wandte und auf wunderbare Weise gerettet wurde. Juda wurde zum Vasallenstaat Assyriens und entging so der Vernichtung.
Nach dieser Invasion versuchte Hiskia ein Bündnis mit den Babyloniern zu schließen, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen. Im 39. Kapitel des Buches Jesaja erfährt der Prophet, was Hiskia getan hat. Und sagt in Kapitel 39, Verse 5 bis 7: „Höre das Wort des HERRN der Heerscharen! 6 Siehe, Tage kommen, da wird alles, was in deinem Haus ist und was deine Väter bis zum heutigen Tag angehäuft haben, nach Babel weggebracht werden. Nichts wird übrig bleiben, spricht der HERR. 7 Und von deinen Söhnen, die von dir abstammen, die du zeugen wirst, wird man einige nehmen, und sie werden im Palast des Königs von Babel Hofbeamte sein“ (Jesaja 39:5-7).
Im Jahr 605 v. Chr. kam es zur ersten Invasion und Deportation jüdischer Führer nach Babylon. Unter den Deportierten befand sich auch der Prophet Daniel.
Das zweite große Ereignis ereignete sich acht Jahre später (597 v. Chr.): Nebukadnezar reagierte auf die anhaltende Rebellion in Juda mit einem zweiten Einfall und einer Teildeportation. Bei dieser Deportation wurde auch der Prophet Hesekiel mitgenommen.
Wiederum 11 Jahre später (586 v. Chr.) hatte Nebukadnezar genug von der anhaltenden Rebellion in Juda und unternahm einen dritten und letzten Einfall und deportierte den Großteil der Bevölkerung. Dabei zerstörte er Jerusalem mit seinem heiligen Tempel.
Der babylonische Konflikt bildet den historischen Hintergrund für sieben weitere Propheten: Jeremia, Zephanja, Joel, Obadja, Habakuk, Hesekiel und Daniel.
Jeremia ruft zur Umkehr auf, um den Untergang abzuwenden. Seine Botschaft ist: Wer nicht auf Gott vertraut, trennt sich von der lebensspendenden Kraft Gottes.
Jeremia sagt: Wenn ihr auf Menschen statt auf Gott vertraut, werdet ihr getrennt leben von der Quelle, von Gott und von Jerusalem. Wer aber auf Gott vertraut, der wird auch in der Dürre, also auch in schwierigen Zeiten, alles zum Leben haben.
Das Bild der Wahlmöglichkeit taucht in der Bibel immer wieder auf.
Im Garten Eden gab es zwei besondere Bäume. Der Baum des Lebens und der Baum „vom selbst entscheiden, was gut oder böse ist“. Der Mensch entschied sich nicht für ein Leben in der Abhängigkeit von Gott.
Es folgt Noah, der seine Mitmenschen einlädt, mit ihm durch die enge Tür der Arche zu gehen und sich in Gottes Arche zu bergen.
In 5.Mose 30,15-20 fordert Mose das jüdische Volk auf, sich zwischen Segen und Fluch zu entscheiden. Er sagt: „Wähle das Leben … indem du den HERRN, deinen Gott, liebst und seiner Stimme gehorchst und ihm anhängst“.
Das wiederholt Josua in Kapitel 24. Auch David ruft in den Psalmen dazu auf. Dann folgen die Propheten und mit ihnen Jeremia. Jesus ruft am Ende der Bergpredigt dazu auf, den Weg des Lebens zu wählen.
Es scheint, dass Jeremia in Kapitel 17 Psalm 1 zitiert. Dort heißt es:
„Glücklich der Mann, der nicht folgt dem Rat der Gottlosen, .. 2 sondern seine Lust hat am Gesetz des HERRN. … 3 Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, …6 Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten; aber der Gottlosen Weg vergeht“ (Psalm 1).
Jeremia verwendet das Bild der Quelle auch in Jeremia 2,13: „Denn zweifach Böses hat mein Volk begangen: Mich, die Quelle lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten.“
Auch für uns stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit Gott um? Eine Schnittblume ist zwar frei, aber sie lebt nicht lange. Getrennt von der Quelle geht uns langsam die Kraft aus.
Jeremia will mit seinen Worten die Menschen nicht zu etwas zwingen, sondern zur Umkehr einladen. Er verflucht die Menschen nicht, sondern zeigt auf, dass ihr Weg nicht unter dem Segen Gottes steht.
Segen meint eine von Gott durchwirkte Atmosphäre, die gelingendes Leben und Zusammenleben ermöglicht.
Fluch dagegen ist alles, was Leben und Zusammenleben mindert, verunmöglicht oder zerstört. Ein Fluch ist etwas, das uns hindert, von dem wir uns selbst aber nicht befreien können. Weil der Mensch im Garten Eden die Unabhängigkeit von Gott wählte, wurde seine Arbeit zu einem ewigen Kampf ums Überleben.
Segnen heißt: Ich wünsche jemandem Gottes Hilfe und seine Rettung, einen Freiraum zur Entfaltung oder die göttliche Kraft, Situationen auszuhalten, in denen uns andere Steine in den Weg legen und alles versuchen, um uns aus der Bahn zu werfen.
Jeremia fordert uns auf, vom Ende her zu denken und die Hilfe bei Gott zu suchen. Menschen können ihre Meinung ändern. Verträge können gekündigt werden. Das Leben kann wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Aber wer mit Gott unterwegs ist, hat in der Dürre eine verborgene Quelle, aus der er schöpfen kann.
Spannend finde ich in diesem Text: „Im Jahr der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen.“
Mit Gott leben heißt nicht, vor Schwierigkeiten bewahrt zu werden, sondern in Schwierigkeiten Gottes Hilfe zu erfahren.
Wer auf Menschen und Menschenmögliches vertraut, der verfängt sich sehr oft im Gestrüpp der Erwartungen. Wie oft werden wir von Menschen enttäuscht? Wie oft werden unsere Erwartungen nicht erfüllt? Und wie oft enttäuschen wir andere, weil wir ihre Erwartungen nicht erfüllen?
Jeremia spricht vom Segen für Menschen, die sich auf Gott verlassen. Gottvertrauen hilft, Dürrezeiten auszuhalten. Wer am Wasser gepflanzt ist, der ist an der Quelle, auch wenn es heiß wird. Menschen genügen nicht, darum suche ich Hilfe bei Gott.
Jeremia spricht später auch von einem neuen Bund, den Gott mit seinem Volk schließen wird (Jeremia 31,31-34). Gott wird die Menschen verändern, indem er ihre Herzen berührt. „Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. … ich werde … an ihre Sünde (Verfehlungen) nicht mehr denken.“ Das ist die gute Nachricht, die die Welt verändert.
Wer sich mit Gott verbündet, ist „wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist … im Jahr der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen.“
Hanspeter Obrist, März 2025
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