Am Palmsonntag erinnern wir uns an den Einzug von Jesus auf einem Esel in Jerusalem. Damit beginnt die Karwoche, in der man sich an das Abendmahl, den Kreuzestod und die Auferstehung von Jesus erinnert.
Das ist eine seltsame Geschichte. Der Ausruf der Leute stammt aus Psalm 118. Statt im Palast aufzuräumen, geht Jesus in den Tempel. Die Botschaft des Palmsonntags ist: Jesus lässt sich nicht instrumentalisieren. Er widmet sich den Menschen, die sich täglich nach seiner Hilfe sehnen.
In Matthäus 21,1-17 heißt es: „1 Und als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage kamen, an den Ölberg, da sandte Jesus zwei Jünger 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das euch gegenüberliegt; und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn jemand etwas zu euch sagt, so sollt ihr sprechen: Der Herr braucht sie, und sogleich wird er sie senden.
4 Dies aber ist geschehen, damit erfüllt wurde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: 5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, und zwar auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.«
6 Als aber die Jünger hingegangen waren und getan hatten, wie Jesus ihnen aufgetragen, 7 brachten sie die Eselin und das Fohlen und legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. 8 Und eine sehr große Volksmenge breitete ihre Kleider aus auf den Weg, andere aber hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Die Volksmengen aber, die vor ihm hergingen und nachfolgten, riefen und sprachen: Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe! 10 Und als er in Jerusalem einzog, kam die ganze Stadt in Bewegung und sprach: Wer ist dieser? 11 Die Volksmengen aber sagten: Dieser ist Jesus, der Prophet, der von Nazareth in Galiläa.“
Das ist eine seltsame Geschichte. Normalerweise reitet jemand aus königlichem Haus auf einem Pferd und nicht auf einem geliehenen Esel. Schon die Tatsache, dass die Jünger keinen eigenen Esel hatten, lässt aufhorchen. Jesus und seine Jünger lebten ganz in der Abhängigkeit des himmlischen Vaters.
Jesus hätte sich auch ein Pferd leihen können. So hätte er wie Mordechai in der Geschichte der Königin Esther ehrenvoll durch die Straßen ziehen können (Ester 6,10-11). Aber da gibt es noch den kleinen Einschub von Matthäus, dass dies schon in Sacharja 9,9 vorausgesagt wurde. „Juble laut, Tochter Zion, jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir: Gerecht und siegreich ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin.“
Der Esel ist ein Symbol für den gewaltlosen Friedenskönig. David lässt Salomo bei seiner Einsetzung als König auf seiner Mauleselin reiten (1.Könige 1,33). Das ist eine Kreuzung eines Pferdehengstes und einer Eselstute.
Was ist nun das Besondere am Esel?
Esel leben ursprünglich in rauen Wüsten und felsigen Gebirgen. Esel sind sehr aufmerksam. Sie prüfen genau, wohin sie treten. Esel können auch viel länger als Pferde ohne Wasser und Nahrung auskommen. Da Esel im Gegensatz zu Pferden schwindelfrei sind, sind sie die bevorzugten Reit- und Lasttiere in steilen Gebirgsregionen. Beim klassischen grauen Esel hat es auf dem Rücken ein Kreuz.
Das Besondere am Esel ist jedoch, dass er in Stresssituationen dazu neigt, innezuhalten. So ist es ein Wunder, dass ein Esel, der noch nie beritten war, mit Jesus durch die Menge zog.
Die Anwesenheit Jesu machte den Esel willig. Wenn Jesus mit einem unberittenen Esel fertig wurde, dann wird er mit jedem störrischen Esel fertig werden. Es kann vorkommen, dass auch wir uns manchmal wie „störrische Esel“ verhalten. Doch die Gegenwart von Jesus lässt uns über unsere inneren Blockaden gehen.
Das zweite, was auffällt, sind die Palmzweige und Äste. Damals gab es noch keine Fähnchen, und so nahm man Zweige, um die Begeisterung auszudrücken.
Auch dieser Ausdruck hat eine Vorgeschichte: In Israel waren Palmzweige ein Symbol der Unabhängigkeit und des siegreichen Königs. In 1. Makkabäer 13,51 steht, dass Simeon Jerusalem von den Besatzern befreite, indem er sie ziehen ließ. Danach «zogen die Israeliten mit Lobgesang und Palmzweigen, beim Spiel von Leiern, Zimbeln und Saiteninstrumenten unter Hymnen und Lobliedern dort ein. Denn ein gefährlicher Feind in Israel war vernichtet worden.»
So wird Jesus hier als Befreier Jerusalems gefeiert. Die Menschen rufen: „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Dieser Ausruf stammt aus Psalm 118. In Jerusalem waren viele Juden, die sich auf das große Pessachfest vorbereiteten. Psalm 118 und die folgenden Psalmen wurden an diesem Fest rezitiert.
Ab Vers 24 heißt es in Psalm 118: „24 Dies ist der Tag, den der HERR gemacht hat; wir wollen jubeln und uns über ihn freuen. 25 Ach, HERR, bring doch Rettung! (הוֹשִׁיעָה נָּא – Hosanna – Rette jetzt) … 26 Gesegnet sei, der da kommt im Namen des HERRN! … 27 Gott ist der HERR. Er ließ Licht für uns leuchten. Tanzt den Festreigen mit Zweigen bis zu den Hörnern des Altars!“
Zuvor steht noch in Vers 21: „Du bist mir zur Rettung geworden. 22 Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden.“
Die Leute setzen Psalm 118 um. Sie erwarten, dass Jesus als Messias nun die Besatzer vertreibt. Möglichst friedlich wie Simeon aus dem Makkabäerbuch.
Doch nun geschieht etwas Merkwürdiges. Statt im Palast aufzuräumen, geht Jesus (nach Markus 11,11 am nächsten Tag) in den Tempel: „12 Und Jesus trat in den Tempel ein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften, und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um. 13 Und er spricht zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden«; ihr aber macht es zu einer »Räuberhöhle«.“
Und noch etwas kommt hinzu. Jesus widmet sich den hilfsbedürftigen Personen: „14 Und es traten Blinde und Lahme in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie.“
So kann man doch keine Revolution starten und schon gar nicht die Römer vertreiben.
Und dann waren da noch die Schreie der Kinder: „15 Als aber die Hohen Priester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig 16 und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen? Jesus aber sprach zu ihnen: Ja, habt ihr nie gelesen: »Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?“ (Psalm 8,3).
Der Ausdruck „Sohn Davids“ war ein Ehrentitel für den kommenden jüdischen Messias (Matthäus 12,23 / Matthäus 22,42).
Die Botschaft lautet: Das Reich Gottes wird nicht durch Gewalt errichtet, sondern indem Menschen Heilung erfahren. Dabei geht es um mehr als nur körperliche Heilung. Es geht auch um innere Herstellung, weil sie wieder Teil der Gesellschaft und des Gottesdienstes werden.
Es ist ja gerade der Gegensatz, der auffällt. Jesus reinigt den Tempel von den geschäftstüchtigen Besatzern, die aus dem Gottvertrauen ein Geschäft gemacht haben, und widmet sich den Menschen, die zwischen Stühle und Bänke gefallen sind.
Wer wie Jesus handeln will, entwickelt einen Blick dafür, wie er andere aufbauen und fördern kann.
Am Palmsonntag erinnern wir uns an den Einzug Jesu in Jerusalem. Es ist auch ein Bild dafür, dass wir Jesus jeden Tag willkommen heißen. Ihn einladen mit einem Hosianna: Herr hilf. Hilf mir, mit deinen Augen zu sehen und mich dort einzugeben, wo du Menschen ermutigen möchtest. Das Spektakuläre beginnt mit dem Unspektakulären. Die Nähe Jesu lässt unsere inneren Widerstände schmelzen, lässt uns über unsere Mauern springen.
Die Besucher in Jerusalem fragten, wer dieser Mann sei. Die Antwort lautete: Jesus von Nazareth. Das scheint im Widerspruch zu stehen zur Bezeichnung Sohn Davids. Oder doch nicht? Denn Nazareth war eine Siedlung jüdischer Bauarbeiter aus Bethlehem, die diese Siedlung so nannten, weil „nezer“ Spross bedeutet und sich auf die Prophezeiung von Jesaja 11,1 bezieht. So bedeutet die Antwort: Er ist der Retter, der Spross aus Galiläa. Die Abstammung Jesu vom König David wurde nie in Frage gestellt. Damals waren noch alle Geschlechtsregister im Tempel vorhanden.
Der Bogen dieser Geschichte mündet in den eigentlichen Triumphzug Jesu. In Offenbarung 7,9 richtet Johannes seinen Blick auf den Thron Gottes. Dort sieht er eine unzählbare Schar von Glaubenden aus allen Nationen. Sie sind in weiße Gewänder gekleidet und halten Palmzweige in den Händen:
„9 Danach sah ich und siehe, eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen. 10 Sie riefen mit lauter Stimme und sprachen: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm.“
Hosanna: Rette jetzt – Hilf uns. Dann die Antwort: Die Rettung kommt von Gott und dem Lamm. Nun sind wir beim Osterlamm angekommen. Wir werden an Karfreitag und Ostern dieser Spur weiter folgen.
Die Botschaft des Palmsonntags ist: Jesus lässt sich nicht instrumentalisieren. Er widmet sich den Menschen, die sich täglich nach seiner Hilfe sehnen. Hosanna – „Hilf bitte!“ Ja, hilf mir Jesus. Sei meine Hilfe. Denn „die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm.“ Oder so wie es in Psalm 121,2 heißt: „Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“