Jesus überrascht mit einer neuen Sichtweise

Jesus hat eine ganz andere Sicht auf die Menschen und das Zusammenleben als sein Umfeld.

Jesus sagt in Johannes 13,34-35: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“

An Pfingsten erinnern wir uns daran, dass der Heilige Geist sein weltweites Werk auf dieser Erde begonnen hat. Ohne den Heiligen Geist können wir nicht so lieben wie Jesus.

Aber was meint Jesus mit dem „einander lieben“? In der deutschen Sprache ist das Wort Liebe mehrdeutig.

Meint Jesus etwa, dass wir in der Gemeinde jeden sympathisch finden sollen? Sympathie ist wahrscheinlich das falsche Wort. Es geht mehr um Empathie. Das bedeutet, dass man sich in andere Menschen hineinversetzen und mit ihnen mitfühlen kann. Es geht also nicht um eine gefühlsmäßige Zuneigung, sondern um Anteilnahme.

Es geht darum, den anderen als Menschen wahrzunehmen. Also nicht den Beruf, die Leistungen, die gesellschaftliche Stellung, das Geschlecht, die Anzahl der Kinder und Enkel, den Besitz oder andere Dinge.

Bei der Fußwaschung in Johannes 13 sagt Jesus, dass einer dem anderen dienen soll und keiner grösser ist als der andere. Der Meister soll dem Lernenden dienen und nicht umgekehrt.

Paulus schreibt in Galater 3,28: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Je mehr wir in Christus sind, desto mehr sehen wir den Menschen nicht mehr in seiner Lebensstellung. Plötzlich spielt es keine Rolle mehr, was jemand arbeitet, was er erreicht hat oder welchem Geschlecht er angehört. Jeder ist in erster Linie Mensch.

Aber keiner behandelt den anderen respektlos. Jesus sagt in Johannes 13,16: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Sklave ist nicht größer als sein Herr, auch ein Gesandter nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“

Empathie und Wertschätzung dürfen aber auch nicht zu Arroganz führen. Wer sich über andere erhebt und auf sie herabschaut, hat nicht verstanden, was Gnade bedeutet. Gnade ist ein unverdientes Geschenk der Wiederherstellung der Beziehung zu Gott, ohne eigenen Verdienst.

Es ist eine Kunst, die Balance zwischen Wertschätzung, Überschätzung und gegenseitiger Anteilnahme zu halten. Nur weil wir Christen sind, haben wir nicht das Recht, einander alles an den Kopf zu werfen.

Liebe bedeutet, dass wir würdevoll miteinander umgehen. Wir wertschätzen einander mit Respekt. Wir zeigen uns zugewandt, interessiert, aufmerksam und freundlich.

Jesus sagt in Lukas 6,36: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

Barmherzigkeit bedeutet, dass ich innerlich betroffen bin von dem, was ich wahrnehme und darüber nachdenke, was mir möglich ist, um zu helfen.

Das bedeutet nicht, ein Verhalten zu unterstützen oder Partei zu ergreifen, sondern zu helfen, einen Weg zu finden. Als Christen sind wir auch nicht verpflichtet, überall zu helfen, sondern wir beten, dass Gott den Menschen hilft, einen neuen Weg zu gehen. Natürlich gehört dazu auch spontane Hilfe, aber es hilft nicht, wenn Forderungen gestellt werden und eine Schuldigkeit erzeugt wird. Nicht jede Hilfe ist echte Hilfe, sondern sie kann auch in die Abhängigkeit führen. Liebe heißt manchmal auch Nein sagen.

Das eigentliche Ziel ist, einander zu fördern. Man sieht das Potenzial eines Menschen und ermutigt ihn, sich in eine Richtung zu bewegen. Liebe bedeutet, sich in der Kunst zu üben, aufbauende Worte weiterzugeben. Jesus nimmt jeden Menschen wie er ist und ermutigt alle, sich mit Gott auf den Weg zu machen.

Aber hat Jesus die Pharisäer nicht auch kritisiert? Jesus hat Wahrheiten oft so in Geschichten verpackt, dass sein Gegenüber selbst den richtigen Schluss ziehen konnte. Jesus suchte nicht die Konfrontation, sondern das Gespräch. Er hielt den Menschen nicht ständig all ihre Verfehlungen vor Augen. Er sprach von Umkehr, der Neuausrichtung und von einem neuen Umgang miteinander.

Es ist interessant, wie mache Menschen meinen, genau zu wissen, was andere tun müssen. Aber Erkenntnis ist Stückwerk. Manchmal braucht es das Schweigen, das Aushalten, das Tragen im Gebet und nicht eine Lösung aus meiner Perspektive. Ich glaube, da haben wir alle noch Verbesserungspotenzial. Die Pharisäer meinten zu wissen, was die Menschen und Gott tun sollten. In der jüdischen Auslegung ging man sogar so weit zu lehren, dass Gott sich an das hält, was der Sanhedrin (der Hohe Rat) beschließt. Auch wir meinen manchmal, die Lösung zu kennen. Aber Liebe bedeutet, mit jemandem einen Weg zu gehen und ihm dabei zu helfen, Schwieriges auszuhalten.

Vieles lernen wir durch Übung. Sei es im Beruf oder in der Schule. Als Lernende von Jesus üben wir auch einen Schritt nach dem anderen. Mein Nächster steht vielleicht an einem ganz anderen Punkt als ich. Und jeder hat unterschiedliche Voraussetzungen mit auf den Weg bekommen. Was für den einen selbstverständlich ist, kann für einen anderen ein großer Schritt sein.

Hier kommt wieder die Empathie ins Spiel. Wir sehen einander mit neuen Augen. Wir sind uns auch bewusst, dass jeder auf seine Weise wertgeschätzt werden muss. Geschwisterlichkeit führt aber auch nicht zu Überheblichkeit, sondern zu einem respektvollen Umgang miteinander. Unser Ziel ist es, uns gegenseitig zu ermutigen und zu fördern.

Es schmerzt, wenn ich im Internet immer wieder lese, wie auch Christen einander herabsetzen, verurteilen und verteufeln.

So schrieb jemand vor zwei Tagen: Ich verabschiede mich von Facebook. … Gäbe es eine Brille, die nur Sinnvolles, Wertvolles, Anständiges und Respektvolles durchließe, ich würde mir den Entscheid vielleicht noch einmal überlegen. … Ich entscheide mich für einen weiteren Weg ohne unnötigen Ballast. … Ich verzichte ab sofort freiwillig auf Boshaftigkeiten, Diskussionen ohne den Austausch von ernsthaften Argumenten und die vielen Stellungskriege im anonymen Sumpf des „Worst“-Wide-Web.  … Danke für alle freundlichen, lieben, ernsthaften und menschlichen Momente, die ich hier hatte.“

Das Statement drückt den Wunsch nach „freundlichen, lieben, ernsthaften und menschlichen Momenten“ aus.

Einen positiven Umgang erlebe ich in einer anderen Gruppe. Dort schreibt ein neu hinzugekommener Teilnehmer: „Ich bin sehr beeindruckt von eurer tiefen Gemeinschaft und wie ihr füreinander einsteht im Gebet vor unserem Herrn.“

Und das ausgerechnet in einer Gruppe, in der Menschen am Rande ihrer Kräfte leben, weil eine Hiobsbotschaft nach der anderen über sie hereinbricht. Aber man nimmt Anteil und steht füreinander vor Gott ein und hält die Not gemeinsam aus.

So schreibt jemand aus dieser Gruppe: „Ich danke euch allen von Herzen für euer mitfühlen, beten, verstehen und da sein! Es tut so gut. Ich wünsche jedem einzelnen Gottes Schutz, seinen Segen und seine Hilfe!“ Der tiefe Respekt in aller Verschiedenheit beeindruckt mich sehr. Wir erleben immer wieder, wie Gott hilft. Doch oft anders, als wir es erwartet haben.

Pfingsten ist ein Schlüsselereignis. Der Heilige Geist schenkt uns eine neue Sicht auf uns selbst und unsere Mitmenschen. Er hilft uns, unsere Mitmenschen aus einer göttlichen Perspektive zu sehen. Er öffnet uns den Blick für das Reich Gottes und auf einen Gott, der um uns Menschen wirbt, der aber auch respektiert, wenn wir uns nicht auf ihn einlassen wollen.

Vor kurzem habe ich im Radio über das himmlische Jerusalem gesprochen. Johannes beschreibt in der Offenbarung, dass die Tore offen sind. Niemand will den Ort verlassen. Niemand wird zu etwas gedrängt. Alle sind freiwillig da. Gottes Gegenwart zieht sie an. Die Sehnsucht nach Gott wird gestillt.

Die Sehnsucht nach Gott und seiner Gegenwart ist auch bei unseren Treffen der Schlüssel. Der Heilige Geist schenkt uns eine Liebe füreinander und so entsteht eine Atmosphäre der Anteilnahme, des Wohlwollens und des Respekts.

Auf unserer Webseite steht: ‚Viva‘ bedeutet Leben. Wir teilen miteinander die Faszination des Lebens und des Glaubens und tragen schwierige Situationen gemeinsam. Dazu lassen wir uns von der Bibel inspirieren. Wir fördern einander. Wichtig ist uns auch der Kontakt zu anderen Kirchen und Organisationen. Unsere Gottesdienste sind geprägt von der Begegnung mit Gott, der Bibel und gegenseitiger Wertschätzung und Anteilnahme.

So lassen sich die Ziele der Viva-Bewegung zusammenfassen, welche drei Punkte hervorhebt: inspirieren, fördern und vernetzen.

Der Himmel ist nicht einfach ein schöner Ort. Himmel ist, wenn einer dem anderen dient. Hier üben wir das ein. Jeder von uns ist an einem anderen Punkt herausgefordert, sich von Gott prägen und verändern zu lassen.

Der emeritierte katholische Neutestamentler Martin Ebner stellt fest: Das Besondere des Christentums ist eigentlich, dass … die Sündenvergebung gemäß den Evangelien von den Glaubenden einander zugesprochen wird. Gottes Werk ist, dass er im Tod Jesu einen Weg zu sich selbst gezeigt hat, der ohne Priester (Vermittler), Riten und Tempel auskommt. Jede Über- und Unterordnung der Menschen wäre ein Widerspruch zum Glauben an Christus.

Jesus sagt es so: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ Johannes 13,34-35.

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